Alcatraz Indianer Besetzung

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Die erste Besetzung von Alcatraz durch Indianer fand am 9 März 1964 durch fünf Angehörige des Lakota Stammes statt. Sie boten der Regierung in Washington an, die Insel für 47 Cent pro Acre zu kaufen; dem gleichen Preis, den die damalige Regierung den Indianern als Entschädigung für die Enteignung während des Kalifornischen Goldrauschs gezahlt hatte. Dies wären nach damaligem Wert $9,40 gewesen. Am Ende des Tages wurde diese erste Besetzung von Bundespolizisten beendet, doch die Idee der Inanspruchnahme der Insel als indianisches Land sollte weiter bestehen.

Um die Situation der Indianer in den Vereinigten Staaten besser zu verstehen werfen wir einen kurzen Blick auf ein paar ernüchternden Zahlen aus dem Jahre 1968. Das durchschnittliche jährliche Einkommen eines Indianers betrug damals $1.500 - das sind nur 25 % des nationalen Durchschnitts. 50.000 Indianer lebten in Baracken, viele in ihren Autos. Diese Lebensumstände wirkten sich auch dramatisch auf die durchschnittliche Lebenserwartung aus. Während der Amerikaner 65 Jahre als wurde, lag das zu erwartende Alter eines Indianers bei gerade mal 44 Jahren. Hinzu kamen historische Unglaublichkeiten. Von den 371 Verträgen, die die US-Regierung mit den verschiedenen Indianerstämmen abgeschlossen hatte, wurden genau 371 gebrochen. Mit dem Termination Act von 1953 wurden 109 Stämme aufgelöst und 1.326.155 acres Land beschlagnahmt. Vor diesem Hintergrund kann man verstehen, dass aus Sicht der Ureinwohner dringend Handlungsbedarf bestand. Aus diesem heraus sollte sich am 9. November 1969 eine weltweit mit Aufmerksamkeit verfolgte historische Entwicklung ableiten.

Dann nämlich erschien eine Gruppe von Vertretern der großen Nachrichtendienste am Pier 39. Sie waren von Adam Norwall (später Adam Fortunate Eagle), einem Geschäftsmann der Chippewa Indianer, herbeigerufen worden. Er hatte seit 1962 die führende Rolle im Kampf der amerikanischen Indianer um Anerkennung übernommen. Nun sollten die Reporter der Besetzung Alcatraz' beiwohnen. Begleitet von einer farbenprächtigen Gruppe von etwa 75 Indianern der "Indians of All Tribes" warteten sie am Pier auf die Ankunft der fünf gecharterten Boote. In einem lange vergessenen Vertrag der Union mit den Sioux aus dem Jahre 1868 war es den Indianern zugesichert worden, dass nicht mehr benötigtes Land der Union wieder an die Indianer zurückgegeben würde. Nachdem nun das Bundesgefängnis Alcatraz geschlossen war und die Insel somit brach lag (was die Bundesregierung in Dokumenten auch als überzähliges Bundesland auswies) war diese Folgerung nicht abwegig. Doch zunächst gab es ein ganz anderes Problem: Die Boote kamen nicht. Nordwall entdeckte ein Touristenschiff namens Monte Cristo; ein Segelschiff wie aus einem Hollywoodfilm. Captain Craig trug ein weißes, gekräuseltes Hemd und eng anliegende Hosen; es hätte Errol Flynn sein können. Er willigte ein, die Indianer auf die andere Seite der Insel zu befördern. Eine direkte Landung wäre jedoch wegen der Kieltiefe nicht möglich. Beim Ablegen feuerte die Monte Cristo ihre Kanonen und die Zuschauer an Bord jubelten. Gefolgt von kleinen Pressebooten fuhren die Indianer nach Alcatraz. Die symbolische Inanspruchnahme war dem jungen Mohawk-Indianer Richard Oakes jedoch nicht genug. Er sprang über Bord und schwamm zur 250 yards entfernten Insel. Vier weitere Männer folgten, und die Besetzung der Insel hatte tatsächlich stattgefunden. Einige Stunden später sollten sie Alcatraz wieder verlassen, doch sie schwörten, wiederzukehren. Am 20. November 1969 kamen sie zurück und besetzten The Rock 19 Monate lang. Der Medienrummel war enorm.

Schon am 23. November 1969, kurz nach dem Beginn der 19-monatigen Besetzung, beauftragte die Bundesregierung die Küstenwache mit der Errichtung einer Blockade, um den Nachschub an Vorräten abzuschneiden. Dies erwies sich jedoch als uneffektiv. Der Zuspruch und die Unterstützung durch die Bevölkerung war groß, Spenden trafen aus allen Schichten der Gesellschaft ein. Trotz Blockade besuchten insgesamt rund 15.000 Indianer Alcatraz während dieser Zeit. Am 27. November war bereits ein Stammesrat gewählt, ein Kindergarten, eine Schule, eine Klinik und sogar eine Sauna errichtet. Alle Entscheidungen wurden einhellig gefasst. Am Erntedanktag wurde ein großes Fest veranstaltet, unterstützt durch kostenloses Essen von Restaurants der Bay Area. Rund 700 Indianer wohnten nun auf der Insel. John Trudell, bekannt als "Voice of Alcatraz" begann mit seinen regelmäßigen Nachrichtensendungen "Radio Free Alcatraz", mit der er die Öffentlichkeit über die Geschehnisse auf der Insel informierte. Beschwerliche Verhandlungen mit der Bundesregierung beginnen. Die Indianer wollen die Insel offiziell erwerben, wo sie eine amerikanisch-indianische Universität, ein Kulturzentrum und ein Museum errichten wollen. Hierfür fordern sie $472.000. Die Regierung lehnt ab und bietet eine Entschädigung in Höhe von $50.000. Die Gespräche scheitern. Doch um keine Konfrontation zu provozieren, entschließen sich die Diplomaten zu einer Hinhaltetaktik. Die Bevölkerung ist immer noch aufseiten der Indianer. Doch im Laufe der Zeit verblasst das Interesse und andere Dinge rücken in den Fokus der Öffentlichkeit; die Taktik geht auf. Im Januar 1970 müssen viele der Indianer, die Studenten sind, die Insel verlassen, um ihr Studium durch Fernbleiben nicht zu gefährden. Tragischerweise stirbt am 5. Januar 1970 die 12-jährige Stieftochter von Richard Oakes durch einen Treppensturz, weswegen er mit seiner Familie die Insel ebenfalls verlässt. Kurz darauf beginnt die Presse, Geschichten über Führungskonflikte, Drogenkonsum und kriminelle Machenschaften auf der Insel zu veröffentlichen. Die Stimmung in der Bevölkerung beginnt zu kippen. Um die Lebensbedingungen der Besetzer weiter zu verschlechtern und damit den Druck zu erhöhen beschließt die Regierung im Juni 1970, die Elektrizitätsversorgung einzustellen und das Transportschiff für Trinkwasser zu beschlagnahmen. Drei Tage danach bricht unter mysteriösen Umständen ein Feuer aus, das das Gebäude des Gefängnisleiters, ein Wohnhaus, das Leuchtturmwärterhaus und den Offiziersklub zerstört. Am 11. Juni 1971 befiehlt Präsident Richard Nixon die zwangsweise Entfernung der Indianer von Alcatraz, damit der Leuchtturm repariert und damit die öffentliche Sicherheit wieder hergestellt werden kann. Eine Truppe bewaffneter Bundesmarschalls, Polizisten und FBI-Agenten landete auf Alcatraz und begleitete die verbliebenen 15 Besetzer, darunter fünf Frauen und vier Kinder, friedlich von der Insel.

Obschon die Forderungen der Indianer nicht erfüllt wurden, hat die Besetzung doch ihren Zweck erfüllt, nämlich die Öffentlichkeit auf die vielen Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen gegenüber den Ureinwohnern aufmerksam zu machen. Auch hatte es Signalwirkung auf alle Indianer im Land, die ihren Stolz zurückerlangten. Während und nach der Alcatraz-Besetzung gab es weitere 72 Besetzungen von bundeseigenen Einrichtungen und Land. Der größte Erfolg war jedoch ein generelles Umdenken in der amerikanischen Politik, die nun den Indianern ein Selbstbestimmungsrecht einräumte und das einst konfiszierte Land an die Stämme zurückgab. Am 8. Juli 1970 unterzeichnete Präsident Richard Nixon den Indian Self-Determination Act, der den Termination Act von 1953 aufhob. 130.684 acres indianischen Landes wurden zurückgegeben. In einem separaten Abkommen wurden die Navajo Indianer für 40 Millionen acres beschlagnahmten Landes entschädigt.

Zu den während der Besetzung durch die Presse behaupteten Vorwürfe der Kriminalität wurde übrigens später eine 18-monatige Untersuchung durch das FBI durchgeführt. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass es nur ein einziges Verbrechen während der Besatzung gab: Zum Auffüllen der Vorräte und Nahrung während der Blockade hatten drei Indianer 1.665 Pfund Kupferdraht abmontiert und als Schrott für $600 verkauft.

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