Waschbär (Raccoon)
Waschbär (Raccoon)
Waschbär (Raccoon)

Der Waschbär (Procyon lotor), auch explizit als Nordamerikanischer Waschbär oder altertümlich als Schupp bezeichnet, ist der am weitesten verbreitete Vertreter der Familie der Kleinbären und war ursprünglich nur in Mittel- und Nordamerika beheimatet. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist er auch auf dem europäischen Festland und dem Kaukasus heimisch, nachdem er dort aus Pelztierfarmen und Gehegen entkommen ist oder ausgesetzt wurde.

Typisch für den Waschbären ist seine maskenartige Gesichtszeichnung und sein ausgeprägtes haptisches Wahrnehmungsvermögen. Waschbären, die mit anderen Artgenossen oft in lockeren Kleingruppen zusammenleben, zeichnen sich außerdem durch ihr gutes Gedächtnis aus. Gewässerreiche Misch- und Laubwälder stellen den bevorzugten Lebensraum der anpassungsfähigen Säugetierart dar, die zunehmend auch in urbanen Gebieten anzutreffen ist.

Körperbau
Waschbären sind zwischen 41 und 71 cm lang, nicht eingerechnet der zwischen 19,2 und 40,5 cm lange buschige Schwanz, der normalerweise aber nicht deutlich länger als 25 cm ist. Die Schulterhöhe liegt zwischen 22,8 und 30,4 cm und damit einige Zentimeter unter der einer Hauskatze. Das Körpergewicht erwachsener Waschbären differiert je nach Verbreitungsgebiet und Jahreszeit zwischen 1,8 und 13,6 kg, wobei übliche Werte zwischen 3,9 und 9,0 kg liegen. Die kleinsten Individuen leben an der Südküste Floridas, wogegen die an der nördlichen Grenze des Verbreitungsgebiets vorkommenden Waschbären zu den schwersten zählen. Männliche Exemplare sind in der Regel 15 bis 20 Prozent schwerer als Weibchen. Wegen des Winterspecks können Waschbären zu Winteranfang mehr als doppelt so viel wiegen wie im Frühling. Der schwerste in freier Natur lebende Waschbär wog 28,4 kg, was das mit Abstand höchste gemessene Gewicht eines Kleinbären darstellt.

Charakteristisch für die Tierart ist die im höheren Alter ausbleichende schwarze Gesichtsmaske, die sich deutlich von der umgebenden weißen Gesichtsfärbung abhebt. Die leicht abgerundeten Ohren werden ebenfalls von weißem Fell umrandet. Die markante Gesichtszeichnung, die der des Marderhundes ähnelt, dient vornehmlich dem Erkennen von Körperhaltung und Mimik des jeweils gegenüberstehenden Artgenossen. Am restlichen Körper hat das Fell eine braune bis graue Färbung. Waschbären mit fast schwarzem Fell sind vor allem im europäischen Raum anzutreffen, was auf die frühere Beliebtheit derartig gezeichneter Tiere als Pelzlieferanten zurückzuführen ist.

Waschbären gehen im normalen Passgang nur auf den Sohlen ihrer Pfoten und werden daher als Sohlengänger bezeichnet. Ihre Beine sind im Verhältnis zum gedrungenen Rumpf zierlich, weswegen ihr Körperbau schnelle Sprints oder weite Sprünge nicht zulässt. Waschbären können sich auf ihre Hinterläufe setzen und ihre Vorderpfoten als geschickte Greifwerkzeuge einsetzen. Ihr Gebiss mit der Zahnformel 3142/3142 setzt sich aus 40 Zähnen zusammen, welche an ihre Lebensweise als Allesfresser angepasst sind. Weder ist deren Kaufläche so breit wie die pflanzenfressender Tiere, noch sind sie so spitz und scharf wie die fleischfressender Tiere. Wie alle Raubtiere, mit Ausnahme der Hyänen, besitzen auch die Waschbärmännchen einen Penisknochen, der etwa zehn Zentimeter lang und am vorderen Ende stark gebogen ist.

Sinneswahrnehmung
Der für den Waschbären wichtigste Sinn ist der Tastsinn. Die "hypersensiblen" Vorderpfoten mit fünf freistehenden Fingern sind zu ihrem Schutz von einer dünnen Hornhaut umgeben. Nahezu zwei Drittel des für die Sinneswahrnehmung zuständigen Areals der Großhirnrinde ist auf die Interpretation taktiler Reize spezialisiert, mehr als bei jedem anderen Tier. Mit den Vibrissen über den scharfen, nicht einziehbaren Krallen können Waschbären Gegenstände schon vor dem Anfassen erkennen. Es ist unbekannt, weshalb es seine taktile Wahrnehmung nicht negativ beeinflusst, wenn ein Waschbär stundenlang in weniger als 10° C kaltem Wasser steht. Weil ein opponierbarer Daumen fehlt, ist die Beweglichkeit der Vorderpfoten aber nicht mit der der Hände von Primaten vergleichbar.

Waschbären sind farbenblind und nehmen vor allem grünes Licht gut wahr. Obwohl sie aufgrund des als Restlichtverstärker wirkenden Tapetum lucidum hinter der Netzhaut auch im Dämmerlicht gut sehen können und der Sehschärfenbereich von 11 Dioptrien fast genau dem des Menschen entspricht, ist die visuelle Wahrnehmung für Waschbären von untergeordneter Bedeutung. Außer für die Orientierung im Dunkeln ist der Geruchssinn vor allem bei der Kommunikation mit anderen Waschbären wichtig. Urin, Kot und Drüsensekrete, die zumeist mit der Analdrüse verteilt werden, kommen dabei als Duftmarken zum Einsatz. Mit ihrem Gehör sind Waschbären in der Lage, sehr leise Geräusche wahrzunehmen, wie sie etwa im Boden eingegrabene Regenwürmer verursachen. Was hohe Töne angeht, liegt die Hörgrenze bei 50 bis 85 kHz.

"Waschen" der Nahrung
Waschbären tasten Nahrungsmittel und andere Gegenstände mit ihren Vorderpfoten sorgfältig ab, um sich ein Bild von ihnen zu machen und unerwünschte Teile zu entfernen. Wenn die schützende Hornhaut unter Wasser aufgeweicht wird, erhöht sich zudem deren Sensibilität. Während in freier Natur Waschbären an Land gefundenes Futter niemals zu einer Wasserstelle tragen um es dort vor dem Verzehr zu "waschen", kann dieses Verhalten bei in Gefangenschaft gehaltenen Tieren häufig beobachtet werden. Der französische Naturforscher Georges-Louis Leclerc de Buffon (1707-1788) glaubte noch, dass Waschbären über keine ausreichenden Speicheldrüsen verfügten um das Futter anzufeuchten, was definitiv falsch ist. In Gefangenschaft gehaltene Waschbären "waschen" ihre Nahrung besonders häufig, wenn eine Wasserstelle, die einen Grund ähnlich einem Flussbett aufweist, nicht weiter als 3,0 m entfernt ist. Es wird weithin angenommen, dass es sich beim "Waschen" der Nahrung um ein Leerlaufhandlung handelt, mit dem die Nahrungssuche am Ufer nach Kleinlebewesen imitiert werden soll. Die Beobachtung, dass aquatische Nahrungsmittel häufiger "gewaschen" werden, unterstützt diese Theorie. Das Säubern verschmutzter Nahrungsmittel scheint dagegen meistens keine Rolle zu spielen. Strittig dagegen ist, ob sogar wild lebende Waschbären dazu neigen sehr trockenes Futter bei Gelegenheit unter Wasser aufzuweichen.

Lebenserwartung
Genauso wie in Gefangenschaft gehaltene Tiere können auch wild lebende Waschbären 16 Jahre und älter werden, aber die meisten leben nur wenige Jahre. Es ist nicht ungewöhnlich, dass nur die Hälfte der in einem Jahr geborenen Jungtiere bis zu ihrem ersten Geburtstag überleben. Anschließend fällt die jährliche Todesrate auf 10 bis 30 %. Eine der häufigsten natürlichen Todesursachen für junge Waschbären außer dem Tod ihrer Mutter in den ersten Lebenswochen ist das Verhungern während des ersten Winters, gerade wenn dieser besonders kalt und lang ist. Die häufigste natürliche Todesursache in Nordamerika ist die häufig epidemisch auftretende Krankheit Staupe, der ein Großteil der in einem Gebiet lebenden Waschbären zum Opfer fallen können. In Gebieten mit viel Staßenverkehr und in denen Waschbären extensiv bejagt werden, können diese beiden Todesursachen für bis zu 90 % aller Todesfälle erwachsener Waschbären verantwortlich sein. Natürliche Feinde wie Rotluchse, Kojoten und andere Raubtiere spielen normalerweise keine entscheidende Rolle als Todesursache, zumal größere Räuber in vielen Gebieten durch den Menschen ausgerottet wurden. Alles in allem beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung wild lebender Waschbären daher abhängig von den lokalen Bedingungen bezüglich Verkehrsaufkommen, Jagddruck und extremen Witterungsbedingungen nur 1,8 bis 3,1 Jahre.

Ernährung
Waschbären sind Allesfresser, deren Speiseplan sich zu ungefähr 40% aus Wirbellosen, zu 33% aus pflanzlicher Nahrung und zu 27% aus Wirbeltieren zusammensetzt. Laut Zoologe Samuel I. Zeveloff dürfte der Waschbär zu den "omnivorsten Tieren der Welt" gehören. Während Waschbären im Frühjahr vorwiegend Insekten, Würmer und andere schon verfügbare Tiere fressen, bevorzugen sie im Herbst kalorienhaltige pflanzliche Kost wie Obst und Nüsse um sich genügend Winterspeck anzufressen. Was Wirbeltiere angeht, sind Fische und Amphibien die häufigsten Beutetiere. Entgegen weitverbreiteter Ansicht fressen Waschbären nur vereinzelt Vögel und Kleinsäuger, da sich die vergleichsweise aufwendige Jagd zur Erbeutung dieser Tiere für sie nicht lohnt. Bei großer Nahrungsauswahl können Waschbären starke individuelle Vorlieben für bestimmte Nahrungsmittel entwickeln. Im Winter finden sie demgegenüber kaum noch Nahrung und müssen bei anhaltendem Frost sogar fasten.

Habitat
Von verstädterten Tieren abgesehen sind gewässerreiche Misch- und Laubwälder mit einem hohen Eichenanteil der bevorzugte Lebensraum von Waschbären. Hier finden sie genügend Nahrung und Unterschlupfmöglichkeiten. Sie meiden offenes Gelände, weil sie bei Gefahr auf den nächsten Baum klettern, um so der Bedrohung zu entgehen. Waschbären sind außerdem gute Schwimmer und leben bevorzugt in der Nähe von Flüssen oder anderen Gewässern, weil sie dort einen Großteil ihrer tierischen Nahrung finden. In Amerika ist jedoch zu beobachten, dass es dem Waschbären aufgrund seiner Anpassungsfähigkeit zunehmend gelingt, für ihn als ungeeignet eingeschätzte Lebensräume wie Steppen oder kalte, weiter nördlich gelegene Gebiete zu besiedeln.

Schlafplätze
Waschbären sind dämmerungs- und nachtaktive Tiere, was der Hauptgrund dafür ist, dass man sie nur selten zu Gesicht bekommt. Sie sind geschickte Kletterer und schlafen tagsüber mit Vorliebe in den Baumhöhlen alter Eichen. Wenn sich ein Waschbär außerhalb der Reichweite einer seiner bevorzugten Hauptschlafstätten befindet, bezieht er sein Taglager alternativ auch in alten Steinbrüchen, im dichten Gestrüpp oder in Dachsbauten. In den nördlichen Bereichen seines Verbreitungsgebiets hält der Waschbär eine Winterruhe, während der er seine Aktivitäten stark reduziert.

Geistige Fähigkeiten
Es gibt nur sehr wenige Studien über die geistigen Fähigkeiten des Waschbären, von denen die meisten auf seiner taktilen Wahrnehmung basierten. Im Jahr 1908 verglich der Verhaltensforscher H. B. Davis die Lerngeschwindigkeit von Waschbären mit der von Rhesusaffen nachdem sie elf von 13 komplexen Schlössern in weniger als zehn Versuchen öffnen konnten. Bei Untersuchungen in den Jahren 1963, 1973, 1975 und 1992 wurde das Gedächtnis von Waschbären getestet und festgestellt, dass sie sich auch noch nach drei Jahren an die Lösung einer einmal gelernten Aufgabe erinnern konnten. Stanislas Dehaene berichtet in seinem Buch Der Zahlensinn, dass Waschbären Behälter, die zwei oder vier Trauben enthalten, von solchen unterscheiden können, die drei enthalten.

Sozialverhalten
In den 1990er Jahren von den Verhaltensforschern Stanley D. Gehrt und Ulf Hohmann geleitete Untersuchungen haben gezeigt, dass Waschbären entgegen früherer Annahmen normalerweise nicht einzelgängerisch leben. Stattdessen weisen sie ein geschlechtsspezifisches Sozialverhalten auf. Miteinander verwandte Weibchen formen häufig eine sogenannte fusion-fission-society, das heißt sie teilen sich ein Streifgebiet und treffen sich dabei gelegentlich an Futterstellen oder Hauptschlafstätten. Nicht miteinander verwandte Männchen leben oft in Rüdenkoalitionen zusammen, um sich so besser gegenüber Angreifern und speziell während der Paarungszeit gegenüber fremden Artgenossen behaupten zu können. Solch eine Gruppe besteht in der Regel aus nicht mehr als vier Individuen. Weil erwachsene Männchen aggressives Verhalten gegenüber nicht mit ihnen verwandten Jungtieren zeigen können, gehen Mütter anderen Waschbären aus dem Weg bis ihre Jungen groß genug sind um sich selbst verteidigen zu können. Dieses Gesellschaftssystem wird von Hohmann Dreiklassengesellschaft genannt.

Bei ausreichendem Nahrungsangebot können sich die Aktionsräume von Waschbären stark überschneiden, ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt. Zum Informationsaustausch über ergiebige Futterstellen oder gut geschützte Schlafplätze treffen sich Waschbären an Sammelplätzen oder hinterlassen dort Nachrichten in Form von Duftmarken. Waschbären treffen sich außerdem zum gemeinsamen Fressen, Schlafen und Spielen.

Fortpflanzung
Damit die Aufzucht der Welpen nicht mit dem Beginn des nächsten Winters zusammenfällt, paaren sich Waschbären zumeist im Februar. Wenn ein Weibchen nicht trächtig wird oder seine Jungen frühzeitig verliert, wird es im Mai oder Juni manchmal erneut empfängnisbereit. Zur Paarungszeit ziehen die Männchen in ihren Streifgebieten rastlos umher und umwerben die an einigen Sammelplätzen zusammenkommenden Weibchen, deren drei- bis viertägige Empfängnisperioden zeitlich zusammenfallen. Die anschließende Paarung erstreckt sich über mehrere Nächte hinweg, während denen sich intensives Vorspiel, der eigentliche Akt und eine anschließende Ruhepause abwechseln. Die meisten Weibchen lassen sich dabei nur von einem Männchen begatten.

Um eine hohe, zum Beispiel durch Bejagung ausgelöste Sterblichkeitsrate auszugleichen, steigt der Anteil der trächtig werdenden Weibchen stark an. Während die Gesamtpopulation dadurch annähernd stabil bleibt, sinkt der Altersdurchschnitt rapide. Insofern erweist es sich fast immer als wirkungslos, Waschbären durch vermehrte Jagd aus einem Gebiet, das für sie einen günstigen Lebensraum darstellt, dauerhaft vertreiben zu wollen. Selbst wenn dies ausnahmsweise gelingen sollte, würden aber schon bald darauf andere Waschbären in die derart frei werdenden Territorien nachfolgen.

Entwicklung der Jungen
Nach etwa 65 Tagen Tragzeit bringt das nach der Paarung wieder allein lebende Weibchen im Frühling im Schnitt 2,5 bis 3,5 Junge zur Welt. Die Welpen sind bei der Geburt blind und mit einem gelblichem Flaum bedeckt. Das Geburtsgewicht der zehn Zentimeter großen Welpen beträgt 65 bis 75 Gramm. Während des ersten Lebensmonats nehmen die Welpen keine feste Nahrung zu sich, sondern werden ausschließlich von ihrer Mutter gesäugt. Nach zwei bis drei Wochen öffnen sie erstmals die Augen. Im Alter von sechs bis neun Wochen verlassen die zu diesem Zeitpunkt ungefähr ein Kilogramm wiegenden Jungen erstmals die Wurfhöhle, werden jedoch auch danach noch ein bis zwei Monate lang mit nachlassender Intensität gesäugt. Im Herbst erfolgt die allmähliche Trennung von der Mutter. Während die Weibchen schon vor dem Beginn der nächsten Hauptpaarungszeit die Geschlechtsreife erreichen, ist dies nur bei einem Teil der Männchen der Fall. Während viele weibliche Nachkommen zeitlebens in der Nähe ihrer Mutter bleiben, suchen sich die jungen Männchen ein weiter entferntes Territorium, was als instinktives Verhalten zur Vermeidung von Inzucht zu verstehen ist.

Zusammenfassung
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Waschbären Generalisten sind, die nur geringe Ansprüche an die Art ihrer Nahrung stellen und sich schnell an geänderte Umstände anpassen können. Dies erklärt ihren nachhaltigen Erfolg bei der Besiedlung neuer Lebensräume.

Verbreitung in Amerika
Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des Waschbären erstreckt sich von Panama über Mexiko und fast die gesamte USA bis zum Süden Kanadas. Hiervon ausgenommen sind nur Wüstengebiete und das Hochgebirge der Rocky Mountains.

Verbreitung in Europa
Alle in Europa vorkommenden Waschbären gehen auf Tiere zurück, die im 20. Jahrhundert aus Pelztierfarmen und Gehegen entkommen sind oder ausgesetzt wurden. Als derartiger Gefangenschaftsflüchtling sind sie der Gruppe der Neozoen zuzurechnen, wobei sie in Deutschland inzwischen zu den einheimischen Tierarten gezählt werden. Heute gibt es in weiten Teilen Deutschlands sowie Gebieten der angrenzenden Länder stabile Waschbärpopulationen. Weitere Vorkommen existieren im Süden Weißrusslands, dem Kaukasus und im Norden Frankreichs, wo im Jahr 1966 bei Laon einige Exemplare von amerikanischen Soldaten ausgesetzt wurden.

Das für die Verbreitung des Waschbären in Europa wichtigste Ereignis war das Aussetzen von zwei Waschbärpaaren am 12. April 1934 am hessischen Edersee. Die vier Waschbären wurden vom Forstmeister Wilhelm Freiherr Sittich von Berlepsch auf Wunsch des Besitzers, dem Geflügelzüchter Rolf Haag, ausgesetzt, noch bevor er dazu zwei Wochen später die Genehmigung des Preußischen Landesjagdamts erhielt um dadurch "die heimische Fauna zu bereichern". Obwohl es schon vorher ein paar Ansiedlungsversuche gegeben hatte, war nur dieser erfolgreich. Das Gebiet um den Edersee stellte einen für die ausgesetzten Waschbären fast optimalen Lebensraum dar, so dass die von diesem Zentrum ausgehende weitere Verbreitung schnell und dauerhaft erfolgen konnte. 1956 wurde der Bestand in Deutschland auf 285 Tiere geschätzt, 1970 auf etwa 20.000 Tiere und im Jahr 2005 auf eine niedrige bis mittlere sechsstellige Zahl. Obwohl durch diesen Gründereffekt ein genetischer Flaschenhals entstanden ist, scheint dies keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Waschbärpopulation gehabt zu haben.

Der Ausbruch von etwa zwei Dutzend Waschbären nach einem Bombentreffer auf ein Waschbärgehege in Wolfshagen bei Strausberg in Brandenburg im Jahre 1945 führte zu einem weiteren Verbreitungsgebiet. Die daraus entstandene Population lässt sich bis heute genetisch und parasitologisch von der mitteldeutschen unterscheiden. Während über 70 Prozent der Waschbären der mitteldeutschen Population mit dem Waschbärspulwurm infiziert sind, wurde bislang bei keinem Waschbär aus dem brandenburgischen Verbreitungsgebiet eine Spulwurminfektion diagnostiziert. In Sachsen-Anhalt wurde eine Infektionsrate von 39 Prozent gemessen, weswegen dieses Gebiet eine wichtige Rolle als Verschmelzungsgebiet der beiden großen Populationen zu spielen scheint.

Der Waschbär als Neozoon
Der Waschbär ist einer der erfolgreichsten Neozoen des europäischen Kontinents, da er sich innerhalb weniger Jahrzehnte über weite Teile Deutschlands ausgebreitet hat. Viele Jäger und Förster, sowie einige Naturschützer sind der Ansicht, dass die als unkontrolliert bezeichnete Ausbreitung äußerst negative Auswirkungen auf das Ökosystem der deutschen Wälder habe. Argumentiert wird dabei vor allem damit, dass der Waschbär heimische Raubtiere verdränge und geschützte Vogelarten ausrotte. Die Zoologen Ulf Hohmann und Frank-Uwe Michler, die sich mehr als sechs Jahre lang wissenschaftlich mit dem Verhalten und der Ausbreitung des Waschbären in Deutschland auseinandergesetzt haben, widersprechen dieser Auffassung teilweise vehement und verteidigen den "Prügelknaben" Waschbär. Hohmann argumentiert, dass das Fehlen natürlicher Feinde im europäischen Raum alleine eine extensive Jagd nicht rechtfertige, da diese auch im nordamerikanischen Verbreitungsgebiet keine Rolle als wesentliche Todesursache spielten. Zudem lägen die in der Presse angegebenen Populationsdichten manchmal mehr als zehn mal über den gemessenen.

Michler weist darauf hin, dass es es keinerlei Anzeichen dafür gebe, dass eine hohe Populationsdichte negative Effekte auf die Biodiversität eines Gebiets habe. Daher sei es "reine Spekulation" und entbehre "jeder Seriosität", wenn ohne vorherige wissenschaftliche Untersuchung ein kausaler Zusammenhang zwischen Waschbärvorkommen und dem Bestandsrückgang einer anderen Art in einem Gebiet hergestellt werde. Aus diesem Grund wird die Bekämpfung des Waschbären nach der Berner Biodiversitäts-Konvention von ihm abgelehnt, da diese besonders negative Auswirkungen eines Neozoons auf ein Ökosystem voraussetze. Zum eventuell notwendigen Schutz lokaler Vogelpopulationen wäre demgegenüber ein konsequenteres Vorgehen als üblich erforderlich, was jedoch einen hohen personellen und finanziellen Aufwand erfordere.

Zudem weisen die Jäger Hohmann und Michler auf Tierschutz-Verstöße bei der Waschbärjagd hin. So wird in einer Pressemitteilung des von Michler geleiteten "Projekt Waschbär" zur Untersuchung des Waschbärvorkommens im Müritz-Nationalpark der Einsatz von Abzugeisen in Gebieten mit Waschbärvorkommen als "vorsätzliche Tierquälerei" verurteilt, da durch die Aufnahme des Köders mit den Vorderpfoten kein Unterschied zur Wirkung verbotener Tellereisen bestehe.

Verstädterte Waschbären
Aufgrund seiner Anpassungsfähigkeit ist es dem Kulturfolger Waschbär gelungen, urbane Gebiete als Lebensraum zu nutzen. Die ersten Berichte über im städtischen Raum lebende Waschbären stammen aus den 1920er Jahren aus einem Vorort von Cincinnati, Ohio. Seit den 1950er Jahren sind Waschbären in nordamerikanischen Metropolen wie Washington D. C., Chicago und Toronto in großer Zahl anzutreffen. Seit den 1960er Jahren beherbergt Kassel die europaweit erste und dichteste Waschbärpopulation in einem großen städtischen Gebiet mit ungefähr 50 bis 150 Tieren pro Quadratkilometer; eine Zahl vergleichbar mit denen in urbanen Habitaten in Nordamerika. Hohe Populationsdichten werden auch aus anderen Ortschaften in Nordhessen und Südniedersachsen gemeldet. In vielen anderen Städten wie Berlin gibt es vereinzelte Sichtungen.

Die Größe der Aktionsräume verstädterter Waschbären verringert sich auf etwa 0,03 bis 0,38 km² für Weibchen und 0,08 bis 0,79 km² für Männchen. In Kleinstädten und Vororten schlafen viele Waschbären im nahen Wald nach der Nahrungssuche im Siedlungsgebiet. Früchte und Insekten in Gärten und Speisereste im Müll sind leicht verfügbare Nahrungsquellen. Außerdem gibt es eine große Anzahl zusätzlicher Schlaf- und Wurfplätze wie Baumhöhlen in alten Gartenbäumen, Gartenhäuschen, Garagen, verlassene Häuser und Dachböden. Die Anzahl der in Häusern schlafenden Waschbären schwankt von 15 % in Washington D. C. (1991) bis zu 43 % in Kassel (2003).

Mensch und Waschbär
Die steigende Anzahl an Waschbären im menschlichen Siedlungsraum hat zu sehr unterschiedlichen Reaktionen geführt, die von totaler Ablehnung bis zur regelmäßigen Fütterung der Tiere reichen. Die meisten Behörden und einige Wildtierexperten warnen davor, Wildtiere zu füttern, weil diese dadurch immer aufdringlicher oder von Menschen als Futterquelle abhängig würden. Andere Wildtierexperten zweifeln dies an und geben in ihren Büchern Ratschläge für die Fütterung von Wildtieren. Fehlende Scheu vor Menschen ist mit großer Wahrscheinlichkeit kein Anzeichen für Tollwut, sondern eine Verhaltensanpassung der seit vielen Generationen in der Stadt lebenden Tiere.

Während ausgeräumte Mülltonnen und abgeerntete Obstbäume von den Hausbesitzern zumeist nur als lästig angesehen werden, kann die Reparatur von Schäden, die Waschbären bei der Nutzung von Dachböden als Schlafplatz verursachen, mehrere tausend Euro kosten. Das Fangen oder Töten einzelner Tiere löst jedoch in der Regel nur Probleme mit sich besonders wild verhaltenden oder sogar aggressiven Exemplaren, da geeignete Schlafplätze entweder mehreren Waschbären bekannt sind oder bald wiederentdeckt werden. Stattdessen sind vorbeugende Maßnahmen wie das Stutzen von Ästen, die verhindern, dass Waschbären überhaupt in das Gebäude gelangen, viel effektiver und kostengünstiger.

Oft ist es nicht möglich, Waschbären durch starke Bejagung dauerhaft aus einem Gebiet zu vertreiben, das für sie einen gut geeigneten Lebensraum darstellt, da sie ihre Fortpflanzungsrate bis zu einer gewissen Grenze steigern können oder Tiere aus dem Umland in die frei gewordenen Streifgebiete einwandern. Junge Rüden reklamieren zudem kleinere Streifgebiete für sich als ältere, was einen Anstieg der Populationsdichte zur Folge hat. Die Kosten, um aus einem größeren Gebiet auch nur zeitweise alle Waschbären zu entfernen, übersteigen in der Regel die Kosten der durch sie verursachten Schäden um ein Vielfaches.

Waschbären als Krankheitsüberträger
Aus dem verstärkten Kontakt zwischen Waschbär und Mensch ergeben sich Probleme bezüglich der Übertragung von Krankheiten. Im Gegensatz zu seiner amerikanischen Heimat weist der Waschbär in Europa ein stark eingeschränktes Parasitenspektrum auf. Während die Waschbärtollwut in Amerika eine ernstzunehmende Gefahr darstellt, ist diese in Europa erst vereinzelt nachgewiesen worden. Hier gilt zur Zeit nur ein einziger Parasit des Waschbären als ein für den Menschen potentiell gefährlicher Erreger, nämlich der Waschbärspulwurm, der im Dünndarm der Tiere lebt. Die Infektion erfolgt dabei durch die orale Aufnahme von Spulwurmeiern im Waschbärkot, zum Beispiel bei der Säuberung von Waschbärlatrinen. Weil der Mensch für den Spulwurm ein Fehlwirt ist, sind Erkrankungen aber sehr selten.

Haltung
Der Waschbär wird vor allem in den USA gelegentlich als Haustier gehalten, wovon aber viele Experten abraten, da er keine domestizierte Tierart ist und sich unvorhersehbar und aggressiv verhalten kann. In vielen amerikanischen Bundesstaaten ist es daher verboten, Waschbären zu halten, wenn nicht ähnlich wie in Deutschland zumindest eine Genehmigung zur Haltung exotischer Haustiere erforderlich ist. In den USA werden privat gehaltene Waschbären, die eine andere Person gebissen haben, regelmäßig zur Durchführung einer Tollwutuntersuchung getötet. Trotzdem ist die private Haltung von Waschbären möglich, wenn die speziellen Bedürfnisse der Tierart beachtet werden.

Viele geschlechtsreife Waschbären verhalten sich während der Paarungszeit aggressiv und beißen etwa unvermittelt zu. Eine Kastration im fünften oder sechsten Lebensmonat reduziert die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass derartige Verhaltensweisen auftreten. Wenn sie sich nicht genug bewegen oder falsch ernährt werden, können Waschbären verfetten oder Verhaltensstörungen entwicken. Waschbären werden oft über einen längeren Zeitraum mit Katzenfutter gefüttert, was jedoch zu Gicht führen kann. Mit Hinblick auf die neuesten Forschungsergebnisse zum Sozialverhalten des Waschbären vertreten einige Halter inzwischen die Ansicht, dass sie möglichst nicht alleine gehalten werden sollten, damit sie nicht vereinsamen. Wenn keine Schutzvorkehrungen getroffen wurden, wird ein Waschbär aufgrund seiner angeborenen Neugier mit großer Wahrscheinlichkeit massive Verwüstungen im Haushalt anrichten. In Deutschland müssen Waschbären in einem geeigneten Gehege gehalten werden. Waschbären können dazu erzogen werden, den Tag über aktiv zu sein und nachts zu schlafen, aber grundsätzlich ist es unmöglich, sie dazu zu bringen, Befehlen zu gehorchen.

Verwaiste Welpen werden normalerweise nicht als Haustier gehalten, sondern nach erfolgter Handaufzucht wieder ausgewildert. Welpen, die noch auf eine flüssige Nahrungsquelle angewiesen sind, sollten dabei auf keinen Fall mit Kuhmilch gefüttert werden, sondern mit Katzen-Ersatzmilch (engl. Kitten Milk Replacer).

Pelzverarbeitung
Der Waschbär ist eine wichtige Pelztierart. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden in Nordamerika so viele Waschbären für die Pelzherstellung erlegt, dass ihre Anzahl gebietsweise deutlich zurückging. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wurde er daher erstmals in größerem Umfang gezüchtet, was aber sowohl in Nordamerika als auch in Europa bald wieder aufgegeben wurde. Immerhin gab es 1934 in Deutschland 228 Betriebe die Waschbären züchteten mit insgesamt allerdings nur 1583 Tieren. Nachdem zu Beginn der 1940er Jahre Langhaarpelze aus der Mode kamen und somit die Preise fielen, kommen bis heute praktisch ausschließlich Felle von Wildtieren in den Handel. Im Pelzhandel wird auf den Rauchwarenauktionen das Marderhundfell, wohl wegen seines in Teilen waschbärähnlichen Aussehens, mit dem irreführenden Namen Finnraccoon oder Chinesisch Raccoon (raccoon = engl. Waschbär) angeboten; hier kommt es gelegentlich zu Verwechslungen. Waschbärfelle werden zu Mänteln, Jacken oder Mützen, beispielsweise auch zu den typischen Trappermützen, verarbeitet.

Der Waschbär in Mythologie und Kultur
In der indianischen Mythologie war der Waschbär das Thema zahlreicher Sagen. Geschichten wie How raccoons catch so many crayfish (Wie Waschbären so viele Krebse fangen) vom Stamm der Tuscarora drehten sich um sein außergewöhnliches Geschick bei der Nahrungssuche. In anderen Erzählungen spielte der Waschbär, ähnlich wie der Rotfuchs in mitteleuropäischen Sagen, die Rolle des Tricksters, der andere Tiere wie Kojoten und Wölfe überlistet. Unter anderem glaubten die Dakota Sioux daran, dass der Waschbär aufgrund seiner Gesichtsmaske, die der von ihnen bei Ritualen getragenen Gesichtsbemalung ähnelte, über magische Kräfte verfügte. Die Azteken sprachen übernatürliche Fähigkeiten vor allem den Weibchen zu. Der englische Name des Waschbären, Raccoon, leitet sich vom Wort Aroughcun oder Ahrah-koon-em ab, den die Algonkin-Indianer dem Tier gaben, was soviel wie der mit den Händen kratzt bedeutet.

Von westlichen Autoren gibt es einige für Kinder geschriebene autobiographische Romane über das Zusammenleben mit einem Waschbären. Das bekannteste Werk ist Sterling Norths Rascal der Waschbär, in dem er erzählt, wie er als Kind zur Zeit des Ersten Weltkrieges einen Waschbären aufzog. In den letzten Jahren spielten anthropomorphe Waschbären Hauptrollen in der Zeichentrickserie Die Raccoons, dem Animationsfilm Ab durch die Hecke und der Videospielserie Sly Raccoon.

(Quelle und weitere Infos: Wikipedia.de)